Zahlen!

Zu den vielen Talenten die ich nicht habe, gehört auch die Mathematik. Eigentlich mag ich sie, wenn da nur nicht diese bescheuerten Zahlen wären. Für einen Mathematiker die glorreichen Zehn, für mich die zehn Verdammten. Mag sein, dass meine Zahlenallergie von meiner Lebensgeschichte geprägt ist. Mein Vater war Steuerberater und hat zu Hause gearbeitet. Immer wenn meine Mutter ohne Bodenberührung die Diele entlanggeschwebt ist, wusste ich: „Vati macht Bilanz.“ Das hieß, er addierte oder subtrahierte Zahlen, die am Ende übereinstimmen mussten. Fehlte ein Pfennig, konnte er wieder von vorne anfangen – und wir uns eingraben. Seine Tür zum Büro war dann geschlossen und Mutter schob ihm mehrmals am Tag, wie bei einer Raubtierfütterung, ein paar Wurst- oder Apfelscheiben unter der Tür durch.

Wir hatten Angst, weil er um nichts in der Welt gestört wurden durfte, sonst brannte die Luft. Da wusste ich, Zahlen sind etwas ganz Kompliziertes und wenn man sie auch noch zusammenzählen oder aneinanderreihen muss, der blanke Wahnsinn. Davon hat der Deutsche Bankenverband Wind bekommen und extra für mich die IBAN-Nummer erfunden. Nur um mich fertig zu machen. Und so fülle ich seitdem vorgedruckte Überweisungsformulare mit seelenlosen Bandwurmzahlen aus, zähle leise murmelnd Perlenketten von Nullen durch, am Ende ist es immer eine zu wenig – oder zu viel. Erst recht, wenn ich das in meiner Filiale am einzigen Überweisungsautomaten tätige, vor dem bereits andere Kunden unruhig darauf warten, dass ich endlich fertig werde. Dann mache ich Fehler und damit die Nachrücker noch unruhiger. Eine echte Spirale. Aktuell, in Coronazeiten, liegt meine Filiale in mitarbeiterloser, geisterhafter Stille, nur Zettel an den Wänden weisen auf den Segen des Onlinebankings hin. Wer ihrer digitalen Errungenschaft nicht traut, soll gefälligst sein ausgefülltes Überweisungsformular per Post an die Zentrale, weit oben an der Westküste senden.

Gestern habe ich eins an das Auffangbecken für angepisste Bankkunden (AFAB) ausgefüllt und abgeschickt. IBAN85 12700 27380 00000 00000 0000 00001226 0000 6500 000112 00054 000000. Ich bin mal gespannt.

Spiderman

Ich putze mal meine Bude. Das mache ich gerne leicht bekleidet, weil ich sonst immer so schwitze. Gerade fege ich die Diele, da läuft eine Spinne vorbei. Ganz cool und entspannt tippelt sie in Richtung Wohnzimmer. Ja, geht´s noch? Ich öffne die Wohnungstür und fege sie resolut mit dem Besen raus. Verpiss dich! Sie landet auf dem Fußabtreter, zappelt kurz unmutig und steht dann wieder auf ihren acht Beinen. Ich will ihr gerade den Weg zum Nachbarn weisen, da stürzt sie sich zielstrebig zurück in meine Wohnung. Sie mag mich. Ich sie nicht. Empört mache ich einen Schritt nach vorne, um sie wieder zurückzufegen, da höre ich hinter mir ein trockenes „Klack!“. Nein!? Meine Wohnungstür ist ins Schloss gefallen, der Schlüssel steckt innen und ich stehe nur in Unterhose im Hausflur. Ein ganz schwerer Moment in meinem Leben. Im selben Moment öffnet meine Nachbarin, eine junge Frau, ihre Tür und stößt einen spitzen Schrei aus. Ich presse mich scheu an die Wand. Sie stürzt in ihre Wohnung und kommt mit ihrem Handy wieder heraus. „Fotografieren verboten!“ rufe ich panisch. Zu spät. Auf Instagram hatte das Foto 23.450 Klicks. Ich will da nun eine Outdoor-Serie draus machen.

Geschmacksache

Einen Mann wie meinen Freund Rainer, hätte Karl Lagerfeld persönlich erschossen. Nun war Karl der Große ja auch eine modische Ikone, Gottvater des geschneiderten Fadens. Ich würde zu gerne dabei sein, wenn Rainer morgens vor seinem Kleiderschrank steht und darüber nachdenkt, was er anzieht. Was geht da in seinem Kopf vor? In welchem verrückten, neuronalen Prozess entwickelt sich seine Entscheidung für die Wahl seiner Kleidungsstücke? Ist es ein Spiel? Entscheidet er sich mit verbundenen Augen? Das Resultat ist auf jeden Fall grauenvoll, mit tödlicher Sicherheit schreit jeder, der nur über einen Hauch von Geschmack verfügt: „Nein!!!“ Nicht Rainer. Er ist völlig schmerzfrei, greift zu und zieht an, was seine Hand gerade erwischt. Ein Beleg schlimmster Unterwerfung, dass seine Extremitäten nicht den Mut haben, sich solchen Stoffen zu verweigern. Wir alten Freunde haben längst aufgegeben und wundern uns über keine seiner Scheidungen mehr. Nur eine Blinde würde es länger mit Rainer aushalten. Unvergesslich, als wir mit unserer Clique nach Schweden in ein Haus am See gereist sind. Am ersten Morgen ging Rainer in einer gestrickten Badehose baden, die Fotos davon liegen sicher in einem Stahltresor.

Ich persönlich habe Zeit meines Lebens ein Faible für Karos, vermutlich bin ich schon kariert auf die Welt gekommen. Kombiniert mit einer Jeans war ich stilistisch damit immer auf der sicheren Seite. Holzfäller-Look ist wohl nicht jedermann/fraus Sache, auf jeden Fall aber zeitlos und Bäume gibt´s immer. Im Bewusstsein meiner modischen Solidität hatte ich gestern eine Fußbekleidungsfrage zu lösen. Solche sporadischen Unsicherheiten kommen immer mal wieder vor, jeder kennt sie: Welche Socke passt zu diesem Schuh? Randvoll mit Scham und Schuld muss ich beichten: es ging um Sandalen. Solcherart Fußbekleidung, die wir von Jesus und Ben Hur kennen, das Sommerfußleder und nationale Identifizierungsmerkmal aller deutschen Männer im Ausland. Aber verdammt, dieses Teil ist einfach so bequem, sogar meine Riesenfüße stoßen darin nirgendwo an.

Genau aus diesem Grund besitze ich ein Paar Sandalen und trage sie eigentlich nur in mondlosen Nächten, in diesem Moment aber, auch wegen der sommerlichen Hitze, wollte ich meinen Füßen ausnahmsweise tagsüber mehr Luft gönnen. Warum ich sie aber noch in Socken stecken musste, kann ich eigentlich nur damit erklären, dass ich keine schönen Füße habe. Finde ich jedenfalls. Kurzum, ich entschied mich, trotz leichten Unbehagens, für weiße Socken. Offenbar hatte ich in diesem Moment die Kontrolle über mein Leben verloren. Als ich damit auf die Straße trat, hatte ich das Gefühl, alle Menschen tuschelten und starrten auf meine Füße. Ich schlich mich im Schatten der Hauswände zu meinem Lieblingscafé. Es war rappelvoll, alle Tische vor der Tür waren dicht besetzt. Mittendrin Anton, der homosexuelle Wirt, ein feiner Mensch, der mit der Ausstattung und dem kulinarischen Angebot seiner Restauration einen Beweis kultiviertester Stilsicherheit und erlesenen Geschmacks dokumentiert hat. Sein Blick auf meine Füße wird mir unvergessen bleiben. In seinem Gesicht las ich blanke Abscheu, sowie aufsteigende Übelkeit und einen massiven Absturz seiner Wertschätzung mir gegenüber. So viel Zeche kann ich zu Lebzeiten gar nicht mehr bei ihm machen, um meinen Ruf wieder herzustellen.

Taschenspiele

Einkaufspassagen stehen bei mir auf der Hass-Skala gleich hinter Badestrand, aber es hilft nix, ich brauche dringend mal wieder ein neues Hemd. Also betrete ich mit tiefer Abscheu einen dieser Konsumtempel. Von leiser Musik umspült schleiche ich missmutig an blitzeblanken Glasfassaden vorbei und versuche in dem Meer von Stoffen und Farben ein Signal meines Wunschhemdes zu erhaschen. Warum habe ich immer den Eindruck, dass in allen Boutiquen das Gleiche hängt? Irgendwann hole ich tief Luft und schreite durch die verlockend weit geöffnete Pforte eines Ladens. Scheu streiche ich in an Hemdenkollektionen vorbei, begrapsche dieses und jenes Hemd – und weiß nicht. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragt eine Verkäuferin. Lass mich in Ruhe, du blöde Kuh, denke ich und sage: „Danke, sehr freundlich, ich schau mich nur um.“ „Schauen Sie sich nur um“, wiederholt sie. „Nur mal umschauen“, bekräftige ich und blättere durch eine Reihe einfarbiger Hemden. Ups, denke ich, das könnte was sein. Hellgrau, XL, flauschiger Stoff. Ich liebe warme Hemden. „Ziehen Sie´s doch mal an“, meint sie.

Oh, wie ich auch das hasse. Enge Kabine, ausziehen, die Klamotten linkisch über einen Haken wurschteln, das neue Teil anziehen, raustreten und in einen Spiegel schauen. Alle anderen Anwesenden im Geschäft glotzen auch und begutachten unaufgefordert meine Wahl. Sucht euch gefälligst euer eigenes Hemd, ihr Affen. „Na, das passt doch“, sagt die Verkäuferin. „Im Prinzip schon…aber das sind doch keine Taschen“, sage ich und stochere demonstrativ mit meinen Fingern in den beiden fipsigen Brusttaschen herum. „Viel zu klein“, ergänze ich, „da bekomme ich doch keine Brille und keinen Kugelschreiber rein.“ Eigentlich kann man dieser fundierten Kritik nichts entgegensetzen. Irrtum. „Ich bitte Sie, das sind doch nur Accessoires“, sagt sie spitz. Offenbar bin ich einer der Letzten einer aussterbenden Spezies, die in die Taschen ihrer Hemden etwas hineinstecken möchte? Wie pervers bin ich denn? „Accessoires?“, frage ich noch mal nach. „Nur Accessoires“, spricht sie noch einen Hauch französischer, „eine Zierde.

Wenn überhaupt was reinstecken, dann nur für Kleinigkeiten.“ Zum Beispiel?“, will ich wissen. Sie holt tief Luft: „Nun, also…“. „Büroklammern?“, unterbreche ich sie, „oder vielleicht einen Hustenbonbon?“ Sie flötet gereizt: „Wie Sie meinen.“ Ich gebe nicht auf: „Hat nicht der Erfinder der Brusttaschen sie genau deswegen erfunden, damit man etwas hineinstecken kann?“. „Dafür gibt es ja Rucksäcke“, antwortet sie spitz. Ich kontere: „Wer trägt denn seine Brille im Rucksack?“. „Ich brauche keine Brille.“ „Sie sollen das Hemd ja auch nicht kaufen“, entfährt es mir. Ihre Lippen werden ganz schmal. „Schauen Sie“, sage ich, zeige auf die beiden großen Taschen auf meiner Brust und mime den Crocodile Dundee, „das ist ein Hemd! Da geht alles rein. Links Brille und FFP2-Maske, rechts Kugelschreiber, Filzschreiber und Diktiergerät.“ „Und der Regenschirm? Kein Platz mehr?“, fragt sie giftig. Angefixte Frauen können richtig witzig sein.

App, App, hurra!

Ganz einfach doof in den Wald gehen und die Seele baumeln lassen, das war gestern. Nachdem mich eine Bekannte gefragt hatte, wie viele Kilometer ich denn täglich laufe und ich nur „Ich glaub, so etwa…keine Ahnung“ geantwortet habe, und sie einfach nicht begreifen konnte, dass ich das nicht wusste, wurde mir bewusst: ich bin out. Ehrgeizig wie Theresa ist, ließ sie auch nicht locker, wollte es unbedingt von mir wissen. Mir ist eigentlich wurscht, wer in welcher Zeit wie viel Kilometer läuft, diese stressige Phase meines Lebens habe ich hinter mir. Schien mir jedenfalls. Aber meine Neugier war geweckt. „Wie viel Kilometer läufst du alter Sack denn nun eigentlich wirklich, hä? Sag, sag! Was glaubst du, hä?“, hörte ich meinen hässlichen Gollum in mir fragen. „Sicher viel weniger als du Angeber denkst“, zischelte er. Schweig, alter Giftzwerg!

Ich schaute in meinem App-Store nach, was dort an sportmedizinischer Unterstützung angeboten wurde und entschied mich für eine App. Dank ihr weiß ich nun, dass ich heute 6, 33 Kilometer in einer Stunde und 23 Minuten (inkl. 6 Minuten Pause) walkte, davon 13:07 Minuten für einen Kilometer benötigte, mit einer durchschnittlichen Schrittlänge von 0,89 cm, dabei 377 Kalorien verbrauchte, 8345 Mal Luft geholt habe, 0,97 Liter Wasser verlor, drei Körpergasabfuhren hatte und einen Abrieb meiner Laufschuhsohle von 0,37 Millimeter verzeichnete.

Meine Gedanken galten mit 29 Minuten Anja Taylor-Joy, 19 Minuten meinem Rücken, 7 Minuten meinem Knie, 5 Minuten meiner Arbeit und drei Minuten meiner Blase. 3,72 Kilometer meiner Laufzeit habe ich auf meine Fußspitzen geschaut, 1,86 Kilometer auf Bäume, 0,35 Kilometer auf Weiden und Kühe und 11 Sekunden auf eine junge Joggerin. Der Rest meiner Blicke ging ins Nichts. Ach, und mein ökologischer Fußabdruck war 26,55 cm. Ist es nicht eine grandiose Errungenschaft, dass man das nun alles endlich weiß?

Leere Worte

Ich habe sie gerade gefragt, was ihre Tochter macht, da sagt sie: „Es kann sein, dass mein Akku gleich….“ Und – zack! – sind wir getrennt. Einen Moment später ruft sie wieder an. „Hu-hu! Komme jetzt über mein Handy“, sagt sie fröhlich und fragt „Wo waren wir stehengeblieben?“ „Bei deinem Akku“, antworte ich. Sie lacht und meint, sie verstünde das nicht, erst gestern hätte sie den Akku ihres Festnetztelefons vollgeladen, auf der Ladeanzeige waren alle Striche aktiv.

„Das sagt gar nix“, sage ich souverän, „wenn du es ständig auf der Basis lässt, verliert der Akku an Kraft. Wird schlapp, wie wir, wenn wir nicht gefordert werden. Auch unsere Zellen müssen ja immer wieder frisch aktiviert werden, du verstehst?“ Sie ist spürbar beeindruckt. „Boah, jetzt wo du´s sagst“, antwortet sie nachdenklich.

Unbedarfte Menschen, besonders Frauen, wecken in mir den fürsorglichen Aufklärer, ich komme dann richtig in Fahrt und gebe erst auf, wenn ich mir sicher bin, dass sie mich verstanden haben. Ich hätte auch ein guter Lehrer werden können. „Alles hängt mit allem zusammen, weißt du?“, lege ich nach. Eine Prise Philosophie macht immer Eindruck. Sie schweigt überwältigt. So fühlt sich für mich gebannte Aufmerksamkeit gepaart mit Interesse an. Irre, wie gut ich das bei Menschen erreichen kann, denke ich nicht ohne Stolz.

Zum Schluss gebe ich ihr als Abrundung meiner Beratung noch – ganz wichtig – die Lösung, mit der sie zukünftig arbeiten kann: „Du musst das mobile Teil ab und zu mal von der Station nehmen, damit es sich komplett entleert, und sich dann wieder kraftvoll aufladen kann.“ Sie ist beeindruckt und findet, dass ich ja wohl tolle Ahnung von Technik habe und ein richtig praktischer Mann sei. Ich lasse ihre völlige Fehleinschätzung unwidersprochen stehen. „Öööhm….ach ja, ich wollte doch wissen, was macht eigentlich deine Tochter?“, wiederhole ich meine Frage, die ich ihr vor dem Kommunikationsabsturz gestellt hatte. Ich höre noch, wie sie „Clara? Also die studiert jetzt in Münster…“ sagt, da reißt unser Gespräch ab. Mein Akku ist leer.

Food-City

„Immer geradeaus, und dann den zehnten Gang, direkt am Maggi-Center links, und an der Kreuzung, beim großen Coffee-Tower, rechts. Danach den zweiten Gang, direkt am Dressing-Corner wieder links. Dann sehen Sie schon.“ Ich bedanke mich und fahre meinen Einkaufswagen in die empfohlene Richtung, biege aber einen Gang zu früh ab und lande in der Pasta-Street. Nach gefühlt Millionen Nudeln erreiche ich eine Abzweigung in Richtung Milki Way. Am Asia-Food-Circle nehme ich die zweite Ausfahrt, lande direkt im Bio-Park und verlasse ihn am Veggie-Garden. Endlich erreiche ich die Cooler-Highway mit den Hunderttausend Joghurtbechern und lege eine Mango-Papaya-Töpfchen in meinen Wagen. Wegen erhöhten Verkehrsaufkommens bei den Sonderangeboten wähle ich den Umweg über den Hot-Spot mit den scharfen Gewürzen und lande wieder bei der freundlichen Frau von vorhin. „Na? Alles gefunden?“, fragt sie. „Ja“, sage ich glücklich reiche ihr meine Come-Back-Card.

Anlage

Es ist ruhig im Supermarkt, ich schiebe meinen Einkaufswagen zur Kasse und lege die Waren auf das Laufband. Im flotten Tempo scannt die Kassiererin alles ein und sagt freundlich:„Einunddreißigvierzig.“ Ich hole meine EC-Card heraus, starre auf das Kartengerät und frage doof: „Was muss ich tun?“ Sie antwortet „Ranlegen oder reinstecken, wie Sie wollen.“ Kurze Pause, dann grinst sie und fängt an zu kichern. Die Kollegin an der Kasse gegenüber tut es auch – und ich kann nun ebenfalls nicht anders und pruste los. Bin ich gerade dass Ziel weiblichen Sexismus geworden oder einfach nur zweier phantasiebegabter, humorvoller Frauen, die rollenentspannt über die bildliche Komik des Wortes „anlegen“ lachen können? Ich jedenfalls amüsiere mich bei dieser Vorstellung noch köstlich als ich schon draußen bin. Ist ja genau mein Humor. An der Ausgangstür lese ich: „Schön, dass Sie da waren.“ Finde ich auch.

Schande Mann

Eine alte Freundin schrieb mir, ihre Ehe sei zerbrochen, ihr Mann war nicht mehr zu ertragen. Despotisch und stumpfsinnig. Ich war erschüttert. Beim Spaziergang traf ich eine Frau mit einem Hund. Kenne sie nur von unseren gelegentlichen Begegnungen und frage freundlich nach, wie es denn ihrem sympathischen Mann ginge, der sonst immer mit dabei war. Wir sind getrennt, sagt sie, genug ist genug. Er möge verrecken. Sie hätte jetzt von Männern gründlich die Schnauze voll. Ich war sprachlos. Und dann auf Facebook, Ulrike die Gute postete ein zertrampeltes Foto von ihrem Benno. „Fahr zur Hölle!“, stand drunter. Ich konnte es kaum fassen. Gestern kam Lea zu Besuch. Im Laufe des Gespräches fragte ich sie fröhlich nach Jens. „Jens?“, fauchte sie, „Toxisch, hoch toxisch“. Sie hätte sich von diesem Bastard befreit und konzentriere sich jetzt mit allen Sinnen auf ihre Weiblichkeit. Ich gehe ab morgen nur noch als Frau verkleidet auf die Straße.

Gefordert

Ich lese: „Neurologen entdecken neuerdings die Pflanzenwelt für sich.“

Wissenschaftler müssen überall ihre Nase reinstecken, nun haben sie also entdeckt, dass Pflanzen sprechen können. Neu ist das Thema nicht (mein Benjamini ist die reinste Plaudertasche), aber die Natur liegt halt halt im Trend. Überlagert wird in meinem häuslichen Alltag das tägliche Geplapper aus den Blumentöpfen und Vasen allerdings von viel dominanteren Nervensägen. Kaum bin ich morgens ins Bad geschlurft, quatscht mich die Klorolle an, dass sie nur noch drei Blätter hat und der Spiegel will, dass ich ihn putze. Bin selber noch nicht gewaschen und befriedige als Erstes die Eitelkeit eines Wandspiegels, so weit kommt´s noch. In der Küche geht das gnadenlos weiter. Das Geschirr in der Spüle plärrt, warum es noch nicht abgewaschen ist und die vier leeren Bierflaschen wollen unverzüglich in ihren Kasten zurückgebracht werden. Wo ich auch hinsehe, täglich werde ich von irgendwelchen Dingen angemacht, die irgendetwas von mir verlangen. Besonders hartnäckig ist das Bild, was seit Monaten in der Diele auf dem Boden steht. „Häng mich endlich auf!“, schreit es. Widerlich. Ich möchte einmal entspannt durch meine Wohnung gehen, nur ein einziges Mal, ohne dass mir irgendwer ein schlechtes Gewissen macht. Meine Geduld hat auch Grenzen. Vorhin zickte mich der Müll an, warum ich ihn nicht nach draußen bringe, er sei hier ja wohl nur der letzte Abfall? Also, auf die Befindlichkeit von einem Psycho habe ich ja nun überhaupt keinen Bock. „Geh doch selber!“ hab ich ihn angebrüllt. Da hat er vielleicht blöd aus ´m Eimer geglotzt.